Wenn man über große Persönlichkeiten nachdenkt, die mit dem Dorf in Verbindung stehen, dann kommt man um zwei Namen nicht herum.
Da wäre zunächst der Kunsthistoriker Carl Friedrich von Rumohr, dessen Vater Henning der ehemalige Gutsbesitzer von Rothenhausen war.
Zum anderen ist da Prof. Wilhelm Stahl, der sich als bedeutender Organist und Liedautor einen Namen in der Musikwelt machte.
Professor Wilhelm Stahl
(Leben und Wirken des wohl berühmtesten Sohnes des Dorfes)
Mit den "Schenkenberger Jungs" sind nicht etwa unsere Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr gemeint. Dabei handelt es sich vielmehr um eine Polka. Der Text ist auf knapp 3 Sätze beschränkt und handelt von den geselligen (und trinkfesten) Gepflogenheiten der damaligen Schenkenberger, von denen sich der Autor offensichtlich zu diesem Tanzlied inspirieren ließ.
Wilhelm Stahl wurde am 10. April 1872 auf einem Ziegelhof bei Groß-Schenkenberg in der Nähe Lübecks als Sohn eines Zieglers geboren. Seine ersten Schuljahre verbrachte er in der benachbarten Dorfschule. Nach dem Tod seines Vaters zog er mit seiner Mutter nach Lübeck und besuchte dort die Mittelschule und nach deren Abschluß das Lehrerseminar.
1892 bestand er sein erstes Lehrerexamen und 1894 das zweite. 1897 legte er in Hannover die Mittelschullehrerprüfung ab und bestand 1899 das Rektorenexamen für Mittelschulen.
Von 1906-1907 studierte Wilhelm Stahl am Königlichen Konservatorium in Dresden und erwarb mit der Abschlußprüfung das Reifezeugnis als Konzertorganist.
Von 1903-1925 wirkte er als Seminarmusiklehrer in Lübeck, daneben betreute er das Organistenamt an St. Matthäi bis 1922, danach am Dom bis 1939.
Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit gab Wilhelm Stahl noch Musikunterricht an der Großheimschen Realschule, an der Oberrealschule zu Lübeck und lehrte am Konservatorium, wo er auch die Bibliothek verwaltete. 1911 übernahm er die Leitung der Musikabteilung an der Stadtbibliothek. 1921 erhielt Wilhelm Stahl vom Senat der Stadt Lübeck den Professorentitel.
Wilhelm Stahl ganz rechts im Lehrerkollegium 1907 (Quelle Wikipedia)
Die erste musikalische Ausbildung erhielt Wilhelm Stahl während seiner Schulzeit in Lübeck bei dem Organisten der Marienkirche, Karl Lichtwark, und dem Musiklehrer Prof. Carl Stiehl. Sein großes Interesse für den kirchlichen Gesang sowie den Schulgesang bewirkte, daß er mit Karl Lichtwark 1889 die ,,Vereinigung für kirchlichen Chorgesang" gründete. Sein intensives Studium widmete er den Themen Kirchenmusik und Schulgesangsunterricht. 1903 gab er die ,,Geschichte der evangelischen Kirchenmusik“ heraus und 1913 folgte die „Geschichte des Schulgesangsunterrichts“.
Als um die Jahrhundertwende im gesamten niederdeutschen Raum der Aufruf der Volkskundler erfolgte, vergessenes Volksgut zu erforschen und zu sammeln, war Wilhelm Stahl mit am Aufbau des Schleswig-Holsteinischen Volksliedarchivs als Sammler und Mitarbeiter tätig. Anfangs waren seine Gebiete das Kinderlied sowie Volks- und Kinderreime, Spiele und Rätsel. Um 1910 bezog er die Tänze in seine Sammeltätigkeit mit ein, und 1921 konnte er die erste Sammlung ,,Niederdeutsche Volkstänze" herausgeben. 1923 folgte die zweite Sammlung, und 1935 gab er ,,Volkstänze von den nordfriesischen Inseln" heraus. 1928 war er an der Herausgabe folgender Werke als musikalischer Mitarbeiter beteiligt: Bunte Tänze, Band 4 und 5, ,,Hahn im Korb" und ,,Drosselnest" von Anna Helms/Julius Blasche.
Für Prof. Stahl war es von großer Wichtigkeit, daß die Aufzeichnungen der Melodien sowie der Tanzausführungen so getreu wie möglich waren. Dazu schrieb er im Vorwort seiner ersten Sammlung: ,,Noch schwieriger als die Musik ist die Ausführung der Volkstänze zu erfassen. Die alten Leute, die oft allein davon Kunde geben können, sterben allmählich aus. Bei den sogenannten ,,Bunten", zu deren Ausführung in der Regel vier Paare gehören, können auch die beschreibenden Mitteilungen eines Einzelnen nur wenig nützen. Eine Aufzeichnung ist nur ganz vereinzelt geschehen. Eine derartige vor etwa 50 Jahren verfaßte umfangreiche Niederschrift, der der Herausgeber auf die Spur kam, war vom Besitzer höchst bedauerlicherweise kurz vorher beim Aufräumen seines ,,Schatolls“ vernichtet worden. Die verloren gegangene Tanzausführung durch eigene Erfindung ersetzen zu wollen, wie das verschiedentlich versucht worden ist, muß vom volkskundlichen Standpunkt als durchaus unzulässig bezeichnet werden. In einzelnen Fällen kann das Kinderspiel aushelfen. Als die Erwachsenen ihre alten Tänze aufgaben, trat die Jugend das Erbe an.
Im Vorwort zur zweiten Sammlung schrieb er zu diesem Thema: ,,... Nicht von gleichem Erfolg waren leider die fortgesetzten Bemühungen um die Erfassung der ursprünglichen Tanzbewegungen begleitet. Die alten Leute, die allein noch davon Kunde geben können, besitzen von dem, was sie in ihrer Jugend oft und gern getanzt, nun aber seit 30, 40, 50 Jahren nicht mehr geübt haben, in den meisten Fällen nur noch eine dunkle Erinnerung. Oft wiederholte Erkundigungen nach der Ausführung zahlreicher ,,Bunter“ (hier zählte Prof. Stahl über 30 Tanznamen auf) sind bisher vergeblich geblieben."
Neben Prof. Stahl waren es nur Prof. Kück und Marie Peters, die sich daran hielten und keine eigenen Erfindungen oder Ergänzungen in den Tanzbeschreibungen machten; alle anderen niederdeutschen Sammler und Herausgeber von Tänzen waren der wissenschaftlichen Genauigkeit nicht so sehr zugetan, sondern wollten der Jugend des 20. Jahrhunderts interessante, jugendorientierte Tänze anbieten.
Die Tanzsammlungen von Prof. Stahl enthalten nur eine kleine Anzahl Tänze, insgesamt 111, gemessen an dem, was er im Laufe der Jahre in Schleswig-Holstein, Lauenburg, Stormarn, Mecklenburg und den beiden Fürstentümern Lübeck und Ratzeburg zusammentragen konnte. Viele dieser Tanzmelodien fand er in den alten „Fichtelbüchern“, das sind handgeschriebene Notenbücher der Dorfmusikanten, die zum Tanz aufspielten, und von denen er eine ganze Anzahl in seinem Besitz hatte; andere ließ er sich von alten notenunkundigen Musikanten vorspielen und notierte sie selber. Ein Großteil der Tänze war im ganzen Sammelgebiet weit verbreitet, mit kleinen unterschiedlichen Abweichungen. Bei einigen, wo dieses nicht zutraf, vermerkte er den genauen Fundort.
Nachforschungen nach dem Verbleib der alten ,,Fichtelbücher" aus dem Besitz von Prof. Stahl mußten ergebnislos abgebrochen werden. Es ist anzunehmen, daß sie sich in seiner Privatbibliothek in der Organistenwohnung am Lübecker Dom befanden, die am 28. März 1942 durch einen großen Bombenangriff auf Lübeck vollständig zerstört wurde.
Wenn man bedenkt, daß sich in solchen unscheinbaren kleinen Notenbüchern bis zu 250 Tanzmelodien handgeschrieben befanden, so kann man sich erst jetzt ein Bild davon machen, wie groß der Schatz war, der verloren gegangen ist.
Neben seinen volkskundlichen Forschungen und Aufzeichnungen war Prof. Stahl bekannt als Musikforscher und -gelehrter in Lübeck. Auf diesem Gebiet entfaltete er sich als großer Kenner und Wissenschaftler. Weit über 100 Werke, Aufsätze und Abhandlungen schrieb er über seine ,,Musikstadt“ Lübeck, ihre bedeutendsten Komponisten Franz Tunder, Dietrich Buxtehude und Gottfried Herrmann, über die Kirchen Lübecks und ihre Orgeln, über die Lübecker Abendmusiken, über Musikaliensammlungen und Musikbüchereien in Lübeck und vieles mehr. Diese großen verdienstvollen Arbeiten haben ihm zu seinem 75. Geburtstag die von der Kieler Universität verliehene Würde eines Ehrendoktors eingebracht.
Dieses alles schaffte Prof. Stahl trotz eines schweren Asthmaleidens, welches ihn seit frühester Jugend begleitete. Nach einem arbeitsreichen Leben starb er am 9. Juli 1953 im 82. Lebensjahr in seiner Heimatstadt Lübeck.
Der Senat der Stadt Lübeck würdigte seine unermüdliche Arbeit und benannte eine Straße nach ihm: Wilhelm-Stahl-Weg.
Armin Reichhardt, August 2017
Qelltexte, Umschlag und Liedauszüge mit freundlicher Genehmigung der LAG Tanz
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